05/29/2024

Der veröffentlichte MINT-Frühjahrsreport bestätigt den weiterhin hohen Bedarf an Fachkräften im MINT-Bereich. Über sämtliche Anforderungsniveaus konnten bundesweit mindestens 235.400 offene Stellen in MINT-Berufen nicht besetzt werden. Unter Berücksichtigung des qualifikatorischen Mismatches bedeutet dies sogar eine Arbeitskräftelücke in Höhe von 244.400 Personen. Im Vergleich zum sehr hohen Vorjahreswert aus dem März 2023 mit 307.000 ist die MINT-Lücke um 20,4 % gesunken. Besorgniserregend sind die rückgängigen Studierendenzahlen und die sinkenden MINT-Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung steht damit perspektivisch nur ein geringeres Potenzial an inländischem Nachwuchs zur Verfügung.

Die Ergebnisse im Einzelnen:

  • Mit 111.500 Personen bilden im März 2024 die MINT-Facharbeiterberufe die größte Engpassgruppe, gefolgt von 106.100 Personen in den MINT-Expertenberufe sowie 26.900 bei den Spezialisten- beziehungsweise Meister- und Technikerberufe. Im Vergleich zum sehr hohen Vorjahreswert aus dem März 2023 mit 307.000 ist die MINT-Lücke um 20,4 % gesunken.
  • Die größten Engpässe bestanden in den Energie-/Elektroberufen (77.900), in der Maschinen- und Fahrzeugtechnik (45.400), in den Bauberufen (36.700), in der Metallverarbeitung (30.900) und den IT-Berufen (29.500).
  • Demografie: der jährliche Ersatzbedarf steigt in fünf Jahren um 21.500 an. Aktuell scheiden jährlich über 64.800 MINT-Akademikerinnen und MINT-Akademiker aus Altersgründen aus. In fünf Jahren wird der jährliche demografische Ersatzbedarf auf 74.100 steigen. Bei den MINT-Facharbeiterinnen und -Facharbeitern beträgt der aktuelle demografische Ersatzbedarf rund 259.800 und wird in fünf Jahren auf 272.000 steigen.
  • Für die Digitalisierung werden zunehmend Fachkräfte benötigt: Befragt nach möglichen Hemmnissen, um das eigene Unternehmen im Bereich der Digitalisierung besser aufzustellen, nannten rund 44 % der Unternehmen in einer IW-Befragung, dass Fachkräfte für die Digitalisierung fehlen.
  • Als Hemmnis im Bereich Klimaschutz und Energiewende wurde der Aussage „Uns fehlen Fachkräfte für den Bereich Klimaschutz und Energiewende“ von knapp 29 Prozent der Unternehmen zugestimmt.
  • In den nächsten Jahren ist mit einem Rückgang der MINT-Absolvierendenzahlen zu rechnen: 2016 waren noch rund 198.000 MINT-Studierende im ersten Hochschulsemester, 2023 nur noch 179.500. In den Ingenieurwissenschaften und der Informatik, sank die Zahl der Studierenden im ersten Hochschulsemester von 143.400 im Studienjahr 2016 auf 128.400 im Studienjahr 2023 (- 10,5 %). Die Anzahl der deutschen Studienanfängerinnen und -anfänger sogar von 104.300 auf 80.100 (- 23,2 %).
  • Langfristig droht eine weitere starke Reduzierung des Angebots an MINT-Kräften aus dem Inland: Bei 15-jährigen Schülerinnen und Schülern sind in den letzten Vergleichsarbeiten die Kompetenzen in MINT deutlich gesunken. Zwischen PISA-2012 und PISA- 2022 sind die naturwissenschaftlichen Kompetenzen der 15-Jährigen von 524 auf 492 Punkte und die mathematischen Kompetenzen von 514 auf 475 Punkte stark gesunken. In Mathematik nahm der Anteil der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler von 17,5 % auf 8,6 % ab, der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sehr geringen Kompetenzen stieg dagegen von 17,7 % auf 29,5 % an.
  • Matheunterricht ist nicht beliebt: nur für 38 % der Schülerinnen und Schüler ist Mathe ein Lieblingsfach (PISA), 48,9 % sind von Mathe „müde“ und 40,6 % gelangweilt; die Motivation für Mathe ist niedrig: nur 5,9 % der Schülerinnen und Schüler sind motiviert, ihre Leistungen zu verbessern.
  • Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) berechnet für die Studienanfängerinnen und Studienanfänger aus dem Jahr 2016/2017 in Bachelorstudiengängen (Universitäten) in den Ingenieurwissenschaften eine stagnierende Studienabbruchquote von 35 %. In den Bachelorstudiengängen in Mathematik bzw. Naturwissenschaften (Universitäten) ist die Abbrecherquote hingegen angestiegen und liegt bei 50 %. Bei den Studienanfängerinnen und Studienanfängern aus dem Jahr 2014/2015 lag sie bei 43 %. An den Fachhochschulen lässt sich bei den Ingenieurwissenschaften ein leichter Rückgang der Abbrecherquote von 32 % auf 30 % feststellen. Im Bereich Mathematik/Naturwissenschaften stagniert die Abbrecherquote bei 39 %.
  • Der Beschäftigtenanteil von Frauen nimmt leicht zu. Der Anteil der Frauen an allen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen in MINT-Berufen ist seit 2012 von 13,8 % auf 16,2 % gestiegen.
  • Der Beschäftigtenanteil von Älteren nimmt deutlich zu. Der Anteil der MINT-Beschäftigten im Alter ab 55 Jahren an allen MINT-Beschäftigten ist seit 2012 von 15,1 % auf 22,3 % gestiegen.
  • Die Zuwanderung hat in den letzten Jahren stark zur Fachkräftesicherung und Innovationskraft beigetragen. Das MINT-Beschäftigungswachstum von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern war von 2012 bis 2023 überproportional hoch: 
  • Die Beschäftigung von Deutschen in MINT-Facharbeiterberufen ist in diesem Zeitraum leicht gesunken (-3,1 %), unter Ausländerinnen und Ausländern nahm die Beschäftigung um 83,2 % zu. In MINT-Spezialistenberufen gab es einen Zuwachs unter Deutschen von 12,8 % und unter Ausländerinnen und Ausländern von 137,0 %. In MINT-Akademikerberufen betrugen die Zuwächse unter Deutschen 41,0 % und unter Ausländerinnen und Ausländern 210,6 %. Damit erreichte sie mit rund 216.200 Beschäftigten ein Rekordhoch.
  • Beispiel: Seit dem 31.12.2012 ist die Anzahl der Inderinnen und Inder in akademischen MINT-Berufen um 720 % von 3.750 auf 30.800 gestiegen.
  • Wäre die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern seit Ende 2012 nur in der geringen Dynamik wie die Beschäftigung von Deutschen gestiegen, würde die Fachkräftelücke heute um 442.000 Personen höherausfallen und damit einen Wert von knapp 0,7 Millionen MINT-Kräften erreichen.

Empfehlungen:

  • MINT-Bildung in der gesamten Bildungskette verbessern: Forschergeist und Neugierde für mathematische Zusammenhänge / Naturphänomene müssen bei allen Schülerinnen und Schülern frühzeitig geweckt werden (klischeefrei!). Dazu müssen die frühkindliche Bildung gestärkt, der Ganztag besser genutzt und die Möglichkeiten der Digitalisierung sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden. 
  • Kooperationen an Schulen stärken: außerschulische MINT-Akteure wie Science Center, Schülerlabore etc. einbeziehen; Betriebe können MINT in Anwendung erklären z. B. im Rahmen von Patenprogrammen, Praktika (für Lehrer und Schüler!)
  • Fachkräftemangel bei Lehrkräften entgegenwirken: Wertschätzung der Lehrerbildung steigern, zeitgemäße Unterrichtsmethoden (Digitalisierung!), Potenzial von Zugewanderten nutzen (auch Ein-Fach-Lehrkräfte), Seiten- und Quereinstieg qualitativ sichern, regelmäßige Fortbildung und Aufstiege ermöglichen
  • alle vorhandenen Potenziale insbesondere bei Frauen, Zugewanderten und Ältere heben
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