10/19/2023

Zusammenfassung

Bundesarbeitsminister Heil will Kosten in die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung verschieben, um den Bundeshaushalt zu entlasten. Damit bucht er lediglich eigene Lasten auf das Konto der Beitragsgemeinschaft um. Die Beitragskasse ist aber kein Sparbuch, auf das der Arbeitsminister zugunsten seines Haushaltes einfach zugreifen kann.

Zwar nimmt der Bundesarbeitsminister nach massivem Widerstand von den Plänen im Haushaltsfinanzierungsgesetz wieder Abstand und will die aktive Arbeitsmarktpolitik für Jugendliche unter 25 Jahren nicht mehr von den Jobcentern auf die Arbeitsagenturen verlagern. Notwendig wäre aber, die Umbuchungstricks insgesamt aufzugeben und stattdessen echte Einsparungen vorzusehen. Genau das wird aber nicht getan. Es werden einfach andere Aufgaben in die Beitragskasse verlagert. Besonders prekär: Diesmal sollen die Betreuung von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden und die Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen aus dem Beitragshaushalt finanziert und von den Arbeitsagenturen administriert werden.

Was bei den Jugendlichen rechtlich und fachlich noch zu argumentieren gewesen wäre, lässt sich hier aus vier Gründen nicht valide rechtfertigen:

1. Die Rehabilitation, Förderung und Qualifizierung von langzeitarbeitslosen Menschen ist keine Aufgabe der Arbeitslosenversicherung. Die Kundinnen und Kunden der Jobcenter haben entweder noch nie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt oder haben ihre vorhandenen Ansprüche verbraucht und sind hilfebedürftig. Empfänger von Sozialhilfeleistungen aus Beitragsmitteln fördern zu lassen widerspricht dem vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Grundsatz, dass Sozialversicherungsbeiträge streng zweckgebunden sind. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben werden auch nicht dadurch zu Versicherungsaufgaben, weil sie so bezeichnet werden.

2. Die Verlagerung der Aufgaben führt zu neuen administrativen Schnittstellen, die die Betreuung dieser besonders hilfebedürftigen Zielgruppen konterkarieren werden: Eine ganzheitliche Integrationsstrategie wird dadurch erschwert und gerade nicht erleichtert. Ergebnis wird vielmehr sein, dass die Menschen zwischen Jobcentern und Arbeitsagenturen hin- und hergeschoben werden.

3. Mit den Plänen werden die Jobcenter mit ihren Kernzielgruppen immer weniger zu tun haben, obwohl gerade diese wirklich enge Betreuung brauchen.

4. Die Pläne konterkarieren wesentliche sinnvolle Änderungen durch das Bürgergeldgesetz. Vor kurzem hat der Bundesarbeitsminister noch betont, wie wichtig die neuen Möglichkeiten der Jobcenter bei der Qualifizierung sind. Begründet wurde das damit, dass zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss haben. Gerade einmal ein Vierteljahr nach Inkrafttreten dieser Regelungen zum Bürgergeld wird den Jobcentern die Aufgabe entzogen. Konsistentes Regierungshandeln sieht anders aus.

Im Einzelnen

Aufgaben können nicht einfach nach Belieben aus Steuern oder Beiträgen finanziert werden

Nach den neuen Vorschlägen sollen für die Förderung beruflicher Weiterbildung und die Betreuung von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden statt der Jobcenter zukünftig die Arbeitsagenturen zuständig sein. Wie das rechtlich begründet werden soll, bleibt bisher offen. Die Förderung der Qualifizierung von langzeitarbeitslosen Menschen ist keine Aufgabe der beitragsfinanzierten Arbeitslosenversicherung. Es geht hier um Menschen, die entweder noch nie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt oder ihre vorhandenen Ansprüche verbraucht haben und vor allem hilfebedürftig sind. Empfänger von Sozialhilfeleistungen aus Beitragsmitteln fördern zu lassen widerspricht dem vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Grundsatz, dass Sozialversicherungsbeiträge streng zweckgebunden sind. Versicherte dürfen nur insoweit durch Beiträge belastet werden, als diese ihnen dann auch zugutekommen. Ein Einsatz der Sozialversicherungsbeiträge, um den allgemeinen Finanzbedarf des Staates zu decken, ist ausgeschlossen.

Gesamtgesellschaftliche Aufgaben werden auch nicht dadurch zu Versicherungsaufgaben, weil sie so bezeichnet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass es nicht genügt eine Regelung in irgendeiner Weise der „sozialen Sicherheit“ zuzuordnen, sondern dass eine Zuordnung zur Sozialversicherung einer inhaltlichen Begründung und Rechtfertigung bedarf.

Tatsächlich werden hier versicherungsfremde Leistungen in die Arbeitslosenversicherung verschoben. Die zu Recht sowohl organisatorisch als auch von der Finanzierungsgrundlage her getrennten Rechtskreise SGB III und SGB II verschwimmen damit zusehends. Hier muss ein eindeutiges Stoppschild gesetzt werden, sonst werden demnächst noch mehr klar aus Steuern zu finanzierende Aufgaben in der Arbeitslosenversicherung landen – mit problematischen Folgen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag.

Ganzheitliche Integrationsstrategie wird erheblich erschwert

Gerade weil zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss haben, ist das Thema „Qualifizierung“ zentraler Bestandteil fast jeder Integrationsstrategie. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter können jetzt nicht mehr ganzheitlich vorgehen. Innerhalb eines Integrationsprozesses kommt es zu unterschiedlichen Zuständigkeiten und unnötigen Doppelstrukturen mit erheblichen Friktionen an den Übergabepunkten. Es ist zu befürchten, dass die Menschen zwischen Jobcentern und Arbeitsagenturen hin- und hergeschoben werden. Der gesamte Integrationsprozess kann sich so verzögern. Dabei ist bekannt: Je länger Menschen arbeitslos sind, umso schwieriger ist es (wieder), in das Berufsleben einzusteigen.

Nicht alle Menschen im Bürgergeldbezug, für die eine Qualifizierung objektiv Sinn machen würde, sind ohne weiteres bereits in der Lage, eine längere oder auch kürzere Qualifizierungsmaßnahme durchzuhalten. Es besteht die Gefahr, dass Weiterbildungsbedarfe zu frühzeitig festgestellt werden, auch um den Eingliederungstitel zu entlasten.

Ob und wie Qualifizierung zukünftig noch Teil des Kooperationsplanes sein kann, ist völlig unklar. Wenn die Aufgaben in die Arbeitslosenversicherung verschoben werden, müssen die Arbeitsagenturen über die Qualifizierung final entscheiden und nicht mehr die Jobcenter.

Jobcenter haben mit Kernzielgruppen immer weniger Kontakt

Fehlende berufliche Qualifikation und höheres Alter, das oft mit gesundheitlichen Einschränkungen einhergeht, sind die zentralen Vermittlungshemmnisse bei langzeitarbeitslosen Menschen. Drei Viertel der Langzeitarbeitslosen waren laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2021 entweder 55 Jahre oder älter bzw. Helfer. Damit hatten 757.000 Menschen sehr starke vermittlungshemmende Merkmale.

Mit den Plänen werden die Jobcenter mit ihren Kernzielgruppen immer weniger zu tun haben, obwohl gerade diese wirklich eng betreut werden müssen. Umso überraschender ist, dass der Aufschrei der Jobcenter und ihrer Träger deutlich weniger hörbar ist als bei der Gruppe der U25.

Wesentliche sinnvolle Regelungen des Bürgergeldgesetzes werden konterkariert

Mit dem Bürgergeldgesetz wurden für die Jobcenter sinnvolle neue Möglichkeiten der Qualifizierung geschaffen. Dies wurde u. a. damit begründet, dass zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss haben und das Thema Qualifizierung wichtig für eine nachhaltige Integration ist. Weiterbildung und Qualifizierung sollten im Fokus stehen. Das scheint jetzt nicht mehr relevant zu sein, wenn das Thema Richtung Arbeitslosenversicherung abgeschoben werden soll. Auf der Webseite seines Ministeriums wird der Bundesarbeitsminister wie folgt zitiert: „Das Bürgergeld sichert Menschen verlässlich ab, die ihren Job verlieren oder eine Krise erleben. Damit der Weg ins Arbeitsleben gelingt, stellen wir Weiterbildung und Qualifizierung ins Zentrum.“ Jetzt soll das zentrale Thema Richtung Arbeitslosenversicherung umgelenkt werden. Das ist das Gegenteil von konsistentem Regierungshandeln.

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