07/19/2023

Die OECD hat ihren Employment Outlook 2023 „Artificial Intelligence and the Labour Market” veröffentlicht. Die für die Arbeitgeber relevanten Schwerpunkte des Berichts betreffen die Auswirkungen von KI auf die Arbeitsbeziehungen, den sozialen Dialog und Kollektivverhandlungen sowie die Arbeitsmarkt- und Lohnentwicklung in den OECD-Mitgliedstaaten.

Kernaussagen des Berichts:

KI, Arbeitsplätze und Qualifikationen

Der Bericht weist darauf hin, dass die Auswirkungen der KI auf die Beschäftigung vielschichtig seien. Entgegen den Befürchtungen, dass viele Arbeitsplätze verschwinden werden, gebe es derzeit kaum Hinweise auf negative Auswirkungen von KI auf die Beschäftigung. Darüber hinaus könne ein Beschäftigungszuwachs im Bereich der hochqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund der Schaffung neuer Aufgaben und Arbeitsplätze durch KI verzeichnet werden.

Die politischen Empfehlungen konzentrieren sich auf die Förderung der Bildung, Weiterbildung und Qualifizierung, um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den notwendigen Fähigkeiten für den technologischen Wandel auszustatten und den potenziellen Verlust von Arbeitsplätzen aufgrund von KI-Fortschritten auszugleichen. Es wird auch zu einem risikobasierten Ansatz bei der Anwendung von KI geraten. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen im Bereich der Sprachmodelle und der generativen KI werden darüber hinaus politische Maßnahmen gefordert, um auf mögliche wirtschaftliche und arbeitsmarktspezifische Verwerfungen reagieren zu können.

"Vertrauenswürdige KI" am Arbeitsplatz

Der Bericht veranschaulicht, dass KI-Systeme Potenzial haben, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, aber ihre unsachgemäße Gestaltung oder Umsetzung die Grundrechte und das Wohlergehen der Arbeitnehmer gefährden könnten. Zu den problematischen Aspekten würden Diskriminierung, die mangelnde Klarheit bei der Interaktion zwischen KI und Mensch sowie die Schwierigkeit, KI-getriebene Entscheidungen zu verstehen, gehören. Der rasche Fortschritt der KI-Technologie zeige, dass es zuverlässiger und verantwortungsvoller KI am Arbeitsplatz bedürfe.

Im Bericht wird den politischen Entscheidungsträgern empfohlen, einen kohärenten Rechtsrahmen zu schaffen, um „vertrauenswürdige KI“ zu gewährleisten. Dieser Rahmen sollte flexibel sein und eine regelmäßige Überprüfung ermöglichen, um mit den Entwicklungen der KI Schritt zu halten. Internationale Zusammenarbeit und klare Leitlinien für KI-Entwickler und -Nutzer zur Einhaltung der Vorschriften seien der Schlüssel zur Schaffung eines wirksamen und weltweit anwendbaren Rahmens.

Sozialer Dialog und Tarifverhandlungen

Der OECD Employment Outlook hebt hervor, dass sozialer Dialog und Tarifverhandlungen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung des technologischen Wandels in den Arbeitsbeziehungen spielen. Die Sozialpartner könnten den Einsatz von KI erleichtern, indem sie bei der Wahl der KI-Technologien und bei der Festlegung des Fortbildungsbedarfs mitwirken sowie auf technologische Veränderungen reagieren.

Den politischen Entscheidungsträgern wird empfohlen, den Übergang zur Arbeit mit KI voranzutreiben, indem Konsultationen mit den Sozialpartnern gefördert, Maßnahmen auf unterrepräsentierte Arbeitsformen und Arbeitgeber ausgeweitet und die Entwicklung von KI-Fachwissen und digitaler Bildung am Arbeitsplatz für alle Beteiligten unterstützet werden.

Negative Reallohnentwicklung aufgrund der gestiegenen Inflation

Nach dem Bericht seien die Reallöhne im Vergleich des 1. Quartals 2023 zum 1. Quartal 2022 in fast allen Branchen und OECD-Ländern gesunken (OECD-Durschnitt bei - 3,8%). Der reale Wert der gesetzlichen Mindestlöhne wurde in vielen OECD-Ländern an die Inflation angepasst. Dies sei aus Sicht der OECD wichtig, da eine hohe Inflation einkommensschwache Haushalte stark belaste. In vielen Ländern und Sektoren seien die Unternehmensgewinne stärker gestiegen als die Arbeitskosten.

Der Employment Outlook weist auf die Gefahr der kalten Progression hin, welche durch hohe Inflationsraten deutlich verstärkt werde. Für die Arbeitnehmer entstünde so eine doppelte Belastung: Die Reallöhne sinken und die Steuerbelastung steigt. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass eine Anpassung der Einkommenssteuer erforderlich sei, um der kalten Progression entgegenzuwirken. Über die Hälfte der Mitgliedstaaten der OECD nehme eine automatische Anpassung am Einkommenssteuertarif vor.

Bewertung:

Der 267-seitige Bericht der OECD enthält eine umfangreiche Analyse der Arbeitsmarkt- und Lohnentwicklung sowie der Auswirkungen von KI auf die Arbeitsbeziehungen und der Rolle des sozialen Dialogs. Zudem werden Empfehlungen für Maßnahmen in diesen Bereichen aufgestellt.

Es ist zu begrüßen, dass der Employment Outlook 2023 die positiven Potenziale der KI für die Steigerung der Produktivität, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsschutzes sowie für die Förderung von Kompetenzentwicklung hervorhebt. Bei der Empfehlung zur Schaffung eines gesetzlichen Rahmens für den Einsatz von KI am Arbeitsplatz sollte jedoch ergänzt werden, dass dieser klare, flexible und innovationsfreundliche Regeln aufstellt.

Richtigerweise wird betont, dass die Einbeziehung der Sozialpartner bei der Gestaltung eines pragmatischen und praxisnahen Rechtsrahmens eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Transformation der Wirtschaft ist. Allerdings muss dabei die Autonomie der Sozialpartner bewahrt und die nationalen Praktiken und Rechtstraditionen der Arbeitsbeziehungen angemessen berücksichtigt werden.

Der Employment Outlook weist bezüglich der negativen Reallohnentwicklung darauf hin, dass die Unternehmensgewinne stärker gestiegen seien als die Arbeitskosten und deshalb die Krise der Lebenshaltungskosten nicht von allen gleichermaßen getragen werde. Hier ist zu ergänzen, dass sich die nominalen Unternehmensgewinne bei hoher Inflation durch gestiegene Verkaufspreise erhöhen, dies jedoch nicht automatisch auch auf die realen Unternehmensgewinne zutreffe, die sich häufig nicht verbessere. Wie bei der Lohnentwicklung ist eine Differenzierung zwischen nominaler und realer Entwicklung der Unternehmensgewinne notwendig. Gerade kleine und mittlere Unternehmen haben oft wenig Spielräume für weitere Lohnanhebungen. Der Ausgleich der erhöhten Lebenshaltungskosten der Beschäftigten durch einen externen Angebotsschock sollte deshalb nicht allein in der Verantwortung von Unternehmen liegen.

Richtigerweise bestätigt der Bericht, dass ein Tätigwerden bei der kalten Progression sinnvoll ist und mehr als die Hälfte der OECD-Mitgliedstaaten Anpassungen am Einkommenssteuertarif automatisch vornehmen. Eine jährliche Anpassung des Einkommenssteuertarifs an die Inflation würde zu einer Abmilderung der kalten Progression und zu einer Stärkung die Binnennachfrage führen.

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