05/25/2023

Zur Stärkung des Ausbildungsmarktes enthält der Gesetzentwurf mit der Einführung eines neuen Programms für Berufsorientierungspraktika und mit der Flexibilisierung der Einstiegsqualifizierung richtige Ansätze. Eine wichtige Klarstellung ist, dass in der Einleitung des Gesetzentwurfs jetzt explizit festgehalten wird, dass die Bundesregierung von der Einführung einer branchenübergreifenden Ausbildungsumlage zur Finanzierung der Ausbildungsgarantie Abstand nimmt. Auch das Bekenntnis zum Vorrang der betrieblichen Ausbildung ist wichtig. Die außerbetriebliche Berufsausbildung (BaE) kann nur dann eine Alternative sein, wenn alle Vermittlungsbemühungen in geeignete unbesetzte Ausbildungsplätze erfolglos geblieben sind. Eine zentrale Verbesserung gegenüber dem Referentenentwurf ist die Eingrenzung auf Regionen mit einer erheblichen Unterversorgung von mehr als 10 % für die Inanspruchnahme von BaE durch sog. marktbenachteiligte Jugendliche. Erforderlich bleibt eine Konkretisierung, unter welchen genauen Voraussetzungen (Bewerbungs- und Vermittlungsbemühungen) diese jungen Menschen förderberechtigt sind. Das Angebot von BaE muss den konkreten regionalen Bedarfen entsprechen und sich auf Berufe konzentrieren, in denen eine hohe Arbeitsmarktnachfrage besteht. Dies kann nur auf regionaler Ebene unter Einbeziehung der Sozialpartner entschieden werden.

Neben der Ausbildung ist vor allem auch die Weiterbildung für die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft wichtig. Entsprechend hoch ist der Stellenwert von Weiterbildung für die Arbeitgeber. Zwei von drei Erwachsenen haben sich 2020 weitergebildet, knapp 70 % aller Weiterbildungsaktivitäten finden während der bezahlten Arbeitszeit statt. Die Arbeitgeber haben zuletzt 41 Mrd. € pro Jahr in Weiterbildung investiert und damit um ein Vielfaches mehr als der Staat aus Steuermitteln und die Arbeitslosenversicherung.

Dort wo Förderung von Weiterbildung erfolgt, muss sie flexibler, effizienter und zielgerichteter werden. Sie muss dort ankommen, wo sie wirklich gebraucht wird und die Zielgruppen erreicht, die von veränderten Anforderungen am ehesten betroffen, aber am wenigsten darauf vorbereitet sind. Immer neue Förderinstrumente führen nur zu noch mehr Komplexität und Unübersichtlichkeit. Das Qualifizierungsgeld ist unnötig. Weiterbildungsförderung von Beschäftigten durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist bereits jetzt möglich. Es verkompliziert ein ohnehin bereits komplexes System weiter, schließt Unternehmen aus, die über keine einschlägige Betriebsvereinbarung oder einschlägigen Tarifvertrag verfügen und könnte als „Rentenbrücke“ genutzt werden.

Die geplante Reform des § 82 SGB III enthält mit dem Wegfall der Betroffenheit der Tätigkeit vom Strukturwandel oder einer Weiterbildung in einem Engpassberuf und der Festschreibung der Höhe der Fördersätze richtige Anpassungen, ignoriert jedoch weitere bedeutende Hemmnisse der betrieblichen Praxis. Dies betrifft insbesondere die Reduzierung des Mindeststundenerfordernisses von derzeit mehr als 120 Stunden. Sinnvoll ist aber auch die Schaffung eines eigenen Maßnahmenkostensatzes, die Verringerung der Staffelung nach Betriebsgrößen und der Verzicht auf die Maßnahmenzertifizierung. Entsprechende Vereinfachungen sollten auch bei der Verlängerung von § 106a SGB III umgesetzt werden.

Im Einzelnen

I. Einführung einer „Ausbildungsgarantie"

Durch Abstandnahme von Ausbildungsumlage bleibt die Kostenstruktur der Ausbildung im Gleichgewicht

Die Klarstellung, dass die Bundesregierung von der Einführung einer branchenübergreifenden Ausbildungsumlage zur Finanzierung der Ausbildungsgarantie Abstand nimmt, ist zentral, um die finanzielle Eigenverantwortung der Betriebe für die Ausbildung zu erhalten und Fehlanreize für Ausbildung auszuschließen. Eine Umlage wäre eine zusätzliche Benachteiligung von Betrieben, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können und dennoch in eine Umlage einzuzahlen hätten. Davon wären insbesondere kleine und mittlere Betriebe betroffen.

Berufsorientierungspraktikum zur Unterstützung bei der Berufswahl richtiger Ansatz

Die Einführung eines neuen Berufsorientierungspraktikums für Jugendliche, die die Vollzeitschulpflicht abgeschlossen haben und noch nicht abschließend beruflich orientiert sind, setzt an der grundlegenden Problematik der Orientierungslosigkeit vieler Schulabgängerinnen und Schulabgänger an. Die Administration sowie die Übernahme von Fahrt- und ggf. Unterkunftskosten sowie ggf. weiterer Kosten (z. B. Kinderbetreuung) durch die BA kann die Inanspruchnahme eines Praktikums erleichtern. Die Begleitung des Praktikums durch die Berufsberaterinnen und -berater ist dabei zentral, um die Berufswahlentscheidung der jungen Menschen abzusichern und sie möglichst noch im selben Jahr in Berufsausbildung zu bringen. Richtig ist, keine konkreten Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung des Praktikums zu machen, um die Umsetzung möglichst unbürokratisch zu gestalten und Spielraum für individuelle Bedarfe der Jugendlichen und Unternehmen zu lassen. Auch die vorgesehene Regelpraktikumsdauer von mindestens einer und höchstens sechs Wochen bei demselben Arbeitgeber sowie die Option, auf Wunsch des Jugendlichen mehrere Betriebe einzubeziehen, sind zielführend und berücksichtigen die für das Praktikum notwendige Motivation der jungen Menschen. Die Fördervoraussetzung, dass die jungen Menschen bei der BA als Ausbildungsbewerberin oder -bewerber gemeldet sind, befördert den anschließenden Vermittlungserfolg in Ausbildung.

Flexibilisierung der Einstiegsqualifizierung (EQ) erleichtert zielgenaue Nutzung

Die Verkürzung der Mindestdauer einer EQ von sechs auf vier Monate verleiht dem Instrument mehr Flexibilität. Auch die weiteren Änderungen, die EQ stärken sollen, sind zielführend – auch wenn sie vermutlich nicht zu einer deutlichen Zunahme von Förderfällen führen werden, weil jeweils spezielle Zielgruppen adressiert sind. Dies betrifft die Erleichterungen für die Durchführung einer EQ in Teilzeit, die Zulassung von EQ auch zur Vorbereitung einer Ausbildung für Menschen mit Behinderungen sowie die Abschaffung des Förderausschlusses für Fälle, in denen zuvor ein Ausbildungsverhältnis im selben Betrieb vorzeitig gelöst wurde. Es ist richtig, dass das Instrument dadurch insbesondere auch für Menschen mit Fluchthintergrund noch besser nutzbar wird, die etwa wegen sprachlicher Hürden eine begonnene Ausbildung abbrechen mussten. EQ haben sich gerade für diese Zielgruppen als betriebsnahes Instrument am Übergang zur Ausbildung bewährt und sollten daher weiter gestärkt werden, auch und gerade weil die Inanspruchnahme insgesamt in den letzten Jahren deutlich gesunken ist.

Mobilitätszuschuss kann Ausgleich regionaler Disparitäten unterstützen

Die Einführung eines neuen Zuschusses für monatliche Heimfahrten für die Dauer des ersten Ausbildungsjahres mit geringem Administrationsaufwand (kein Nachweis erforderlich) ist geeignet, regionalen Passungsproblemen entgegenzuwirken. Die Förderung von Wohnraum ist jedoch deutlich zielführender als Mobilitätszuschüsse. Es bleibt fraglich, ob ein Zuschuss für monatliche Heimfahrten im ersten Ausbildungsjahr tatsächlich ausreicht, um die Jugendlichen zu einer auswärtigen Ausbildung zu motivieren. Ergänzend muss daher mehr geförderter Wohnraum für Auszubildende geschaffen werden. Im aktuellen Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ müssen sie neben den Studierenden angemessen und bedarfsgerecht berücksichtigt werden.

Außerbetriebliche Berufsausbildung muss „ultima ratio“ bleiben, Eingrenzung auf Regionen mit einer Unterversorgung an Ausbildungsplätzen zentrale Klarstellung

Die Bewertung der außerbetrieblichen Berufsausbildung (BaE) als „ultima ratio“ ist wichtig. Sie macht deutlich, dass die Gesetzesänderung keinen Bruch mit dem bisherigen Primat betrieblicher Ausbildung bedeutet. Alles andere wäre auch nicht im Sinne der jungen Menschen und erst recht nicht der Betriebe, die zahlreiche unbesetzte Ausbildungsplätze vorhalten. Für Betriebe ist die duale Ausbildung eine wichtige Quelle der Nachwuchssicherung. Eine Ausbildung unmittelbar im betrieblichen Alltag unterscheidet sich erheblich von einer außerbetrieblichen Ausbildung, selbst wenn diese in kooperativer Form stattfindet, und bietet eine konkrete Anschlussperspektive. Sowohl Jugendliche als auch Betriebe profitieren daher deutlich stärker von einer betrieblichen Ausbildung. Der Mehrwert der konditionierten Öffnung des Angebotes außerbetrieblicher Berufsausbildung (BaE) auch für sogenannte „Marktbenachteiligte“ ist nicht zu erkennen. Schon jetzt gibt es ein flächendeckendes Angebot an BaE. Aufgrund der engen Fördertatbestände wird die Zielgruppe der sog. „Marktbenachteiligten“ derzeit nicht berücksichtigt, allerdings wird das bisherige Angebot an BaE-Plätzen auch bei weitem nicht ausgeschöpft.

Da im Gesetzentwurf erstmals ein konditionierter Anspruch auf Förderung in einer außerbetrieblichen Ausbildung auch für Marktbenachteiligte vorgesehen ist, sind die einschränkenden Fördervoraussetzungen, insbesondere die in der Gesetzesbegründung (Drucksache 20/6518, S.48) vorgenommene Eingrenzung auf Regionen mit einer Unterversorgung an Ausbildungsplätzen von mehr als 10 %, umso wichtiger, damit betrieblichen Ausbildungsangeboten weiterhin Vorrang eingeräumt wird. Diese eingrenzende Fördervoraussetzung muss im Gesetz und in der Begründung einheitlich verstanden werden, um Missverständnisse zu vermeiden.

Damit das Angebot an BaE auch in solchen Regionen dem tatsächlichen Bedarf entspricht und keine Konkurrenz zu vorhandenen unbesetzten betrieblichen Ausbildungsplätzen entsteht, muss sichergestellt werden, dass maßgeblich die Verwaltungsausschüsse der Agenturen für Arbeit bei der Festlegung der benötigten Anzahl und der Auswahl der Ausbildungsberufe für BaE-Plätze miteinbezogen werden. Sie sind von den Sozialpartnern legitimiert, über die aus Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung finanzierten, außerbetrieblichen Ausbildungsplätze strategisch mitzuentscheiden.

Erforderlich bleibt ebenfalls eine Konkretisierung, unter welchen genauen Voraussetzungen (Bewerbungs- und Vermittlungsbemühungen) diese marktbenachteiligten jungen Menschen förderberechtigt sind.

Der Arbeitgeberservice der Agenturen für Arbeit steht in engem Kontakt mit den Ausbildungsbetrieben in der Region. Seine Kenntnis über die Angebote und Bedarfe der Betriebe sollte vor dem Angebot einer BaE unbedingt eingeholt werden, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, den jungen Menschen in eine betriebliche Ausbildung zu vermitteln. Zudem sind die eigenen Bewerbungsaktivitäten eines jungen Menschen unabdingbar, da sie die erforderliche Motivation für eine Ausbildung zum Ausdruck bringen und Voraussetzung für das Zustandekommen eines Ausbildungsverhältnisses sind.

II. Einführung eines Qualifizierungsgeldes

Qualifizierungsgeld verkompliziert Beschäftigtenqualifizierung unnötig

Für das Qualifizierungsgeld ist weder ein Bedarf noch ist eine sinnvolle Eingliederung in die bestehende Weiterbildungsförderung erkennbar. Bei einem „strukturwandelbedingten Qualifikationsbedarf“ greift bereits die bestehende Beschäftigtenförderung nach § 82 SGB III. Mit immer mehr und neuen Instrumenten löst man keine Probleme. Anstelle das ohnehin schon komplexe System noch weiter zu verkomplizieren wäre es im Gegenteil dringend angezeigt, die bestehende Beschäftigtenförderung für Weiterbildung zu flexibilisieren und zu vereinfachen. Bei der Reform der Weiterbildungsförderung Beschäftigter bleibt der Gesetzentwurf jedoch gerade hinter dem Notwendigen zurück. Die Fördervoraussetzungen beim Qualifizierungsgeld in § 82a SGB III-E werfen viele Einzelfragen auf, z. B. ist nicht ausreichend klar, wie das 20 %-Quorum in § 82a Abs. 2 Nr. 1 SGB III-E bzw. 10 %-Quorum für Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten errechnet werden soll (wer zählt rein, wer nicht).

Unternehmen nicht vom Qualifizierungsgeld ausschließen – Betriebsvereinbarung/Tarifvertrag als Fördervoraussetzung streichen

Mit einem Instrument der Arbeitsförderung dürfen nicht sachfremde Aspekte verbunden bzw. erzwungen werden. Neben einem „hohen Transformationsdruck“ ist der Abschluss einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrages, die betriebsbezogen den strukturwandelbedingten Qualifizierungsbedarf, die damit verbundenen Perspektiven der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für eine nachhaltige Beschäftigung im Betrieb und die Inanspruchnahme des Qualifizierungsgeldes im Betrieb regeln, eine Fördervoraussetzung für das Qualifizierungsgeld. Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten bleiben danach vom Qualifizierungsgeld ausgeschlossen, wenn keine Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag besteht. Der Entwurf zielt also darauf ab, den Abschluss von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen zu forcieren und vermischt so Arbeitsförderung mit tarifpolitischen und mitbestimmungsrechtlichen Anliegen. Es stellen sich weiterhin auch beihilferechtliche Fragen, die geklärt sein müssen, um Rechtsicherheit für alle Beteiligten zu gewährleisten. Nicht klar ist auch, wie die BA überhaupt prüfen soll, ob eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag den Anforderungen von § 82a Abs. 2 Nr. 3 SGB III-E entspricht.

Keine Anreize für Frühverrentung schaffen – Fokussierung auf Verbleib im Unternehmen greift zu kurz

Wenn man das Qualifizierungsgeld für notwendig hält, muss zumindest – gesetzlich oder untergesetzlich – sichergestellt sein, dass es zielgerichtet für sinnvolle und notwendige Qualifizierungen eingesetzt wird und nicht als „Rentenbrücke“ mit gezielter Einplanung von Arbeitslosengeldphasen (ggf. plus Transferkurzarbeitergeld) genutzt werden kann.

Befördert werden könnte die Nutzung als „Rentenbrücke“ dadurch, dass das Qualifizierungsgeld laut Gesetzesbegründung nur darauf ausgerichtet sein soll, eine Weiterbeschäftigung im aktuellen Unternehmen zu erreichen. Es besteht jedoch nicht immer die Möglichkeit, innerhalb eines Betriebes Perspektiven für Beschäftigte zu schaffen, weil deren ursprüngliche Tätigkeit absehbar wegfällt und eine Umqualifizierung für das betreffende Unternehmen keinen Sinn macht. Es müssen daher auch Wege eröffnet werden, die möglichst ohne Phasen der Arbeitslosigkeit einen Übergang in eine alternative Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber (verbindlich vereinbarter Job-to-Job Wechsel) eröffnen. Auch hierzu hat die BDA Vorschläge gemacht.

III. Reform der Weiterbildungsförderung Beschäftigter nach § 82 SGB III

Vereinfachung der Beschäftigtenqualifizierung bleibt hinter Notwendigem zurück

Zwar greift der Gesetzentwurf u. a. mit der Festschreibung der Höhe der Fördersätze Vorschläge der BDA auf, geht jedoch nicht weit genug. Anstelle der Einführung eines neuen Qualifizierungsgeldes ist es sinnvoller, bei der Beschäftigtenförderung nach § 82 SGB III noch deutlicher zu vereinfachen und zu flexibilisieren. Dass die Weiterbildungsförderung Beschäftigter zu kompliziert ist, hat jüngst auch eine Befragung von Praktikern aus den Unternehmen und Mitarbeitern der Agenturen für Arbeit durch das Institut für Arbeitsmarktforschung und Berufsbildung noch einmal bestätigt. Ziel muss immer sein, ein „Mehr“ an bedarfsorientierter und praxistauglicher Beschäftigtenqualifizierung zu erreichen, ohne jedoch das (finanzielle) Engagement der Unternehmen zu ersetzen.

Mindeststundenzahl reduzieren und gleichzeitig Mitnahmeeffekte vermeiden ist möglich

Die Qualifizierungsaufwände in den Unternehmen und bei den Beschäftigten sind sehr unterschiedlich. Zwar werden auch im Strukturwandel längere Qualifizierungen von mehr als 120 Stunden erforderlich sein, aber eben nicht nur. Teilweise können kürzere Maßnahmen bereits ausreichend sein, um z. B. Mitarbeitende fit für neue Anforderungen im Rahmen von Strukturwandelprozessen zu machen, neue Technologien kennenzulernen und wesentliche Zukunftskompetenzen zu erwerben. Ein höheres Stundenvolumen ist oft auch praktisch nur schwer realisierbar. Viele Unternehmen haben mit einem Arbeits- und Fachkräftemangel zu kämpfen. Daher geht auch aus diesem Grund der Trend hin zu kürzeren Qualifizierungen, die die Qualifizierungsbedarfe im Strukturwandel adressieren, die Beschäftigten nicht überfordern und gleichzeitig die knappen Personalkapazitäten berücksichtigen.

Gerade auf die Weiterbildung von Geringqualifizierten muss ein besonderer Fokus gelegt werden. Ihre Weiterbildungsbeteiligung ist immer noch unterdurchschnittlich, obwohl sie am stärksten profitieren würden. Qualifizierungen mit einem deutlich geringeren Stundenumfang können gerade bei längerer Lernentwöhnung helfen, die Akzeptanz und Motivation, ein entsprechendes Qualifizierungsangebot zu beginnen und erfolgreich zu beenden, zu steigern. Mit einer Absenkung des Mindeststundenerfordernisses wird den Bedürfnissen der Beschäftigten und der Arbeitgeber Rechnung getragen.

Gegen die Reduzierung der Mindeststundenzahl wird immer wieder eingewandt, dass reine betriebsinterne Anpassungsqualifizierungen sonst gefördert werden würden, hierfür jedoch die Unternehmen und ihre Beschäftigten selbst verantwortlich seien. Dass eine entsprechende Verantwortung besteht, ist richtig. Deswegen sieht die Weisung der BA schon jetzt Folgendes vor, woran auch bei einer Absenkung des Mindeststundenerfordernisses festgehalten werden sollte:

„Zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten und Wettbewerbsverzerrungen sollen Anpassungsqualifizierungen mit überwiegend betriebsspezifischen Inhalten nicht gefördert werden. Dies bedeutet, dass Maßnahmen, die ganz oder teilweise am Arbeitsplatz stattfinden, arbeitsplatzbezogene, firmeninterne Qualifizierungen (z. B. kurze Einweisungsschulungen aufgrund technischer Änderungen im Betrieb) beinhalten oder zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zwingend notwendig sind, nicht gefördert werden können.“

Der Blick in die Praxis zeigt, dass für eine Unterscheidung zwischen einer rein arbeitsplatz- bzw. betriebsbezogenen Anpassungsqualifizierung und einer durch den Strukturwandel erforderlichen Weiterbildung ein Umfang von mindestens 60 Stunden als Kriterium sinnvoll ist. Laut Adult Education Survey wurden für betriebliche non-formale Weiterbildungen im Jahr 2020 durchschnittlich 25 Stunden aufgebracht. Dies ist mit betriebsbezogenen Anpassungsqualifizierungen vergleichbar, für die die Verantwortung allein zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verbleiben muss und in der Regel deutlich kürzer als 60 Stunden sind.

Mit einer Absenkung des Mindeststundenerfordernisses wird der Möglichkeitsraum für sinnvolle und notwendige geförderte Beschäftigtenqualifizierung signifikant größer, umfangreichere Qualifizierungen von mehr als 120 Stunden bleiben weiterhin möglich. Die Möglichkeit einer modularen Gestaltung der Weiterbildung bleibt ebenfalls bestehen.

Eigenen Maßnahmenkostensatz für Beschäftigtenqualifizierung einführen

Die Logik zur Kalkulation von Qualifizierungsmaßnahmen Beschäftigter ist von derjenigen von Weiterbildungsmaßnahmen Arbeitsloser zu trennen. Der Strukturwandel in den Betrieben hat eben auch Auswirkungen auf die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen Beschäftigter. Die bisherigen kalkulatorischen Grundsätze für den Bundesdurchschnittskostensatz der Arbeitslosenförderung werden der Beschäftigtenförderung nicht gerecht. Maßnahmen für Beschäftigte unterscheiden sich von Inhalt, Gestaltung und den Anforderungen an das Lehrpersonal her von Maßnahmen für Arbeitslose. So ist beispielsweise sehr spezifisches Knowhow gefordert, das den Kreis möglicher Dozentinnen bzw. Dozenten erheblich einschränkt und mit entsprechenden Honorarkosten einhergeht. Anders ist auch, dass bei der Beschäftigtenqualifizierung in der Regel immer eine Mitfinanzierung durch den Arbeitgeber stattfindet. Deswegen bedarf es eines eigenen Systems der Kostenkalkulation, in dem diese anderen Bedarfe besser berücksichtigt werden können. Dabei bleibt eine Deckelung der flexibleren Beschäftigtenqualifizierung sinnvoll, orientiert an einem Durchschnittssatz für Beschäftigte. Bei höheren Kosten der Maßnahme wäre dann immer noch eine Förderung möglich, jedoch würde der Anteil der privaten Finanzierung steigen.

Auf Maßnahmenzertifizierung bei Eigenbeteiligung der Unternehmen verzichten

Der bisherige Zulassungsprozess von Träger- und Maßnahmenzertifizierung verursacht Zeitverzögerungen und ist zudem kostenintensiv. Aber gerade jetzt braucht es Tempo, um die Beschäftigten zeitnah für den Strukturwandel in den Betrieben zu qualifizieren. Eine alleinige Trägerzulassung würde es erlauben an dieser Stelle kurzfristige und passgenaue Maßnahmen durchzuführen.

Die Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit einer Qualifizierungsmaßnahme für Beschäftigte wäre weiterhin sowohl über die AZAV-Trägerzertifizierung als auch durch den zu erbringenden Eigenanteil der Unternehmen gewährleistet. Die Eigenbeteiligung durch den Arbeitgeber stellt dabei sicher, dass die Weiterbildungsmaßnahme wirtschaftlicher, qualitativer näher am Bedarf der Unternehmen und des Arbeitsmarkts ist und somit der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dient. Unternehmen haben ein hohes Eigeninteresse und einen Anreiz, eine möglichst hochwertige und wirkungsvolle Maßnahme auszuwählen, da sie einen Teil der Kosten selbst tragen müssen.

IV. Verlängerung von § 106a SGB III – Weiterbildungsförderung während Kurzarbeit – Vereinfachung und Flexibilisierung mit umsetzen

Statt § 106a SGB III nur zu verlängern sollte die Gelegenheit genutzt werden, die Förderung der Qualifizierung während der Kurzarbeit zu flexibilisieren und zu erleichtern. Neben der Förderung der Qualifizierung von Beschäftigten insgesamt, muss gerade auch die Förderung der Weiterbildung während Kurzarbeit noch deutlich praktikabler gestaltet und auf die Bedürfnisse von Betrieben in Kurzarbeit zugeschnitten werden, wenn sie von Unternehmen genutzt werden soll. Kurzarbeit ist für die meisten Betriebe nicht langfristig planbar, entsprechend müssen auch Qualifizierungsmaßnahmen viel flexibler ausgestaltet sein. Die hohe Mindeststundenzahl und das Erfordernis der Maßnahmenzulassung verhindern auch hier, dass Qualifizierungsangebote auch kurzfristig und passgenau für das Unternehmen erstellt werden können.

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