10/28/2021

Die duale Ausbildung ist ein Grundpfeiler für die Stärke der deutschen Wirtschaft. Die besondere Qualität des dualen Ausbildungssystems in Deutschland basiert auf seiner Praxisnähe und Beschäftigungsorientierung. Durch die enge Verknüpfung mit der Arbeitswelt bietet die betriebliche Ausbildung einen optimalen Start in den Beruf. Entsprechend niedrig ist die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland. Die sog. NEET-Rate (Not in Employment, Education or Training) von 15- bis 24-Jährigen lag 2019 (vor der Pandemie) in der Europäischen Union im Schnitt bei 10,1 %, in Deutschland hingegen war sie mit 5,7 % deutlich niedriger (Quelle: Eurostat). Die duale Ausbildung sichert damit den Unternehmen gut qualifizierte Fachkräfte und den Jugendlichen gute berufliche Chancen.

Die Sicherung des beruflich qualifizierten Fachkräftenachwuchses bleibt in den kommenden Jahren eine der zentralen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft. Bereits seit mehreren Jahren gibt es auf dem Ausbildungsmarkt einen deutlichen Überhang an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Die vorhandenen Plätze für eine außerbetriebliche Ausbildung werden regelmäßig nicht ausgeschöpft. Nur in wenigen Regionen zeigt sich ein anderes Bild. Dies macht deutlich: Es gibt kein Versorgungsproblem der Jugendlichen, das durch eine „Ausbildungsgarantie“ und mehr außerbetriebliche Ausbildung zu lösen wäre. Vielmehr birgt ein vom tatsächlichen Bedarf losgelöster Ausbau der außerbetrieblichen Ausbildung viele Gefahren: Jugendliche konzentrieren sich auf wenige Wunschberufe, für die am Arbeitsmarkt kein Bedarf besteht. In der Konsequenz wird die Integration in den Arbeitsmarkt erschwert. Noch problematischer wird es, wenn eine solche Garantie mit einem Umlagesystem verbunden wird, bei dem nicht-ausbildende Betriebe die außerbetriebliche Ausbildung finanzieren sollen. Dies führt zu Fehlanreizen (Ausbildung, obwohl kein Bedarf besteht) und zu einer Schlechterstellung von kleinen Betrieben, die nicht die Kapazitäten haben, um regelmäßig auszubilden.

Statt einer solchen Entkopplung des Ausbildungsmarkts vom Arbeitsmarkt gilt es, die tatsächliche Herausforderung auf dem Ausbildungsmarkt zu meistern: Die Passung zwischen Angebot und Nachfrage. Junge Menschen brauchen mehr Orientierung über die vielfältigen Möglichkeiten und herausragenden Zukunftsaussichten einer betrieblichen Ausbildung. Sie müssen für die gesamte Bandbreite an Ausbildungsberufen begeistert werden, insbesondere im MINT-Bereich. Dabei müssen den jeweiligen Talenten und Interessen entsprechende Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Eine fundierte Berufsorientierung muss fest im Schulalltag verankert und in Kooperation mit der Wirtschaft und der Bundesagentur für Arbeit durchgeführt werden.

Im Einzelnen

1. Matching von Ausbildungsbewerbern und Ausbildungsbetrieben verbessern, statt durch Ausbildungsgarantie Angebot und Nachfrage entkoppeln

Die Lage für Jugendliche auf dem Ausbildungsmarkt ist sehr gut. Seit vielen Jahren gibt es deutlich mehr unbesetzte Ausbildungsplätze als unvermittelte Bewerberinnen und Bewerber. Auch die vorhandenen Plätze für eine außerbetriebliche Ausbildung werden regelmäßig nicht ausgeschöpft. Dies hat sich auch in der Pandemie nicht geändert. Ende des Vermittlungsjahres 2019/2020 gab es einen Lehrstellenüberhang von mehr als 30.000 Plätzen und im August 2021 sogar von rund 80.000. Zwar ging das Angebot an Ausbildungsplätzen während der Pandemie zurück: Im Vergleich zum Rekordausbildungsjahr 2019/2020 im August um insgesamt 11 %. Noch deutlicher, nämlich um 16 %, sank jedoch im selben Zeitraum die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber. Im August 2021 standen damit für vier gemeldete Bewerberinnen und Bewerber noch fünf gemeldete Ausbildungsplätze zur Verfügung.

Dies zeigt: Es gibt kein Versorgungs-, sondern ein Matching-Problem auf dem Ausbildungsmarkt. Und: Beunruhigend sind vor allem die sinkenden Zahlen bei den Bewerberinnen und Bewerbern. Eine „Ausbildungsgarantie“ mit verstärkter außerbetrieblicher Ausbildung statt einer dualen Berufsausbildung, wie sie zum Teil gefordert wird, löst dieses Problem nicht. Im Gegenteil: Sie setzt ein falsches Signal, indem sie einem Rückzug der Jugendlichen auf ein enges Spektrum von Wunschberufen Vorschub leistet, statt sie zu motivieren, sich auf die vielfältigen offenen Plätze in Ausbildungsbetrieben zu bewerben.

Entscheidend ist jetzt, die tatsächlichen Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt zu bewältigen: Junge Menschen brauchen eine frühzeitige und praxisorientierte Berufsorientierung in der Schule, die ihnen ihre eigenen Stärken und Interessen sowie die vielfältigen und guten Beschäftigungs- und Gestaltungsperspektiven der dualen Ausbildung vor Augen führt. Dazu gehören auch die exzellenten Aufstiegsfortbildungsmöglichkeiten, z. B. zur Meisterin oder zum Fachwirt. Jugendliche müssen herausgefordert werden, ihre Berufsziele zu definieren und sich auf eine nicht zu enge Auswahl dazu passender Berufe zu bewerben. Hier spielen die Angebote der Bundesagentur für Arbeit (BA) wie z. B. das Selbsterkundungstool „CheckU“ eine wichtige Rolle. Auch Betriebspraktika müssen wo immer möglich wieder angeboten und genutzt werden. Nicht zuletzt muss die Rolle der Schulen in der Berufsorientierung weiter gestärkt werden. Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT Deutschland bietet hier – auch in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit – eine Fülle von Best Practice.

2. Bereits vorhandene Unterstützung noch besser nutzen, statt „österreichisches Modell“ kopieren

In der Diskussion um eine Ausbildungsgarantie wird häufig auf Österreich verwiesen. Dort ist seit 2008 eine „Ausbildungsgarantie“ bis zum 25. Lebensjahr als konditionierter steuerfinanzierter Anspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung gesetzlich verankert. Dabei kooperiert ein Träger mit einer Berufsschule; praktisches Lernen erfolgt entweder durch Praktika oder in einem festen Kooperationsbetrieb.

Eine Übertragung des österreichischen Modells auf Deutschland ist weder notwendig noch sinnvoll:

  • Jugendliche, die bis Ende September eines Jahres noch keinen Ausbildungsplatz haben, erhalten in Deutschland durch die Agenturen für Arbeit drei Angebote für eine betriebliche Ausbildung. Diese so genannte „Chancengarantie“ wurde in der Allianz für Aus- und Weiterbildung neben weiteren konkreten Schritten zur Sicherung von Ausbildungsangeboten für alle Jugendlichen bereits 2013 vereinbart.
  • In Regionen in Deutschland mit besonders angespanntem Ausbildungsmarkt, in denen für 100 Bewerberinnen und BewerberInnen weniger als 90 Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, wird ein ausreichendes Angebot durch Verbundausbildung oder außerbetriebliche Ausbildung zur Verfügung gestellt (zurzeit im Wesentlichen in Regionen in NRW sowie Berlin). In Österreich ebenso wie in Deutschland werden Arbeitsverwaltung und Sozialpartner eingebunden bei der Frage, in welchen Regionen und in welchen Berufen dort jeweils außerbetriebliche Ausbildungsplätze angeboten werden.
  • Damit auch weiterhin nach Bedarf ausgebildet wird und der Übergang in Beschäftigung entsprechend leichtfällt, ist die berufliche und räumliche Mobilität der Jugendlichen wichtig. Die Mobilität wird hierzulande durch Unterstützung der Länder und der BA flankiert, z. B. durch Jobtickets und durch Angebote zum Jugendwohnen.
  • Außerbetriebliche Ausbildung (BaE) führt allerdings deutlich seltener zu einer Integration der Auszubildenden in den Arbeitsmarkt als betriebliche Ausbildung. Einige Zahlen zur Situation in Deutschland: 2019 befanden sich 6 Monate nach Abschluss einer BaE nur 56,6 % der Teilnehmenden in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Bei der kooperativen BaE (praktische Ausbildung in ausbildungsberechtigten Kooperationsbetrieben) ist die Quote mit 58,4 % leicht höher, bei der integrativen BaE (sozialpädagogisch begleitet) mit 52,4 % leicht niedriger (Quelle: BA). Im Vergleich dazu wurden 77 % der Auszubildenden im Anschluss an ihre Ausbildung vom eigenen Ausbildungsbetrieb oder einem Betrieb desselben Unternehmens übernommen. Je nach Betriebsgröße ist die Übernahmequote sogar deutlich höher: Unternehmen mit über 249 Beschäftigten übernahmen 86,5 % der Auszubildenden, Mittlere Betriebe (50 – 249 Beschäftigte) 76,4 %, Kleinbetriebe (10-49 Beschäftigte) 72,6 % und Kleinstbetriebe (1-9 Beschäftigte) 65 % (IAB Betriebspanel, 2019). Hintergrund hierfür dürfte sein, dass bei einer außerbetrieblichen Ausbildung die „reale“ betriebliche Erfahrung fehlt, die selbst durch praktische Phasen in Betrieben wie bei der kooperativen BaE nicht vollständig ersetzt werden kann.
  • Eine Ausbildungsgarantie senkt nicht die Jugendarbeitslosigkeit. Diese war in Österreich 2019 mit 7,1 % deutlich höher als in Deutschland mit 5,7 % (NEET-Rate, Quelle: Eurostat).
  • Die Rahmenbedingungen bei der außerbetrieblichen Ausbildung (BaE) sind in Deutschland für die Jugendlichen bereits derzeit besser als in Österreich: Mit dem Anspruch auf Mindestausbildungsvergütung erhalten Jugendliche in BaE in Deutschland einen höheren Zuschuss zum Lebensunterhalt (bei Ausbildungsbeginn in 2021: 550 € monatlich im ersten, 649 € im zweiten und 742 € im dritten Ausbildungsjahr) als in Österreich (332 € monatlich im ersten und zweiten sowie 768 € im dritten Lehrjahr).

3. Finanzielle Eigenverantwortung der Ausbildungsbetriebe erhalten, statt Kostenstruktur durch Umlage nachteilig aus dem Gleichgewicht bringen

Teilweise wird gefordert, die Ausbildungsgarantie durch eine Umlage zu finanzieren, in die nicht-ausbildende Betriebe einzahlen sollen. Dies wird mit der Fehlannahme verbunden, das betriebliche Ausbildungsangebot müsse durch zusätzliche Anreize erhöht werden und ausbildende Betriebe müssten durch finanzielle Entlastung motiviert werden. Dies ist aber falsch:

  • Durch eine derartige Umlagefinanzierung gerät die Kostenstruktur der Ausbildung nachteilig aus dem Gleichgewicht. Betriebe, die keine Fachkräfte benötigen, werden dazu verleitet, aus rein finanziellen Gründen auszubilden. Wenn dies in bestimmten Berufen überproportional geschieht, entsteht am Arbeitsmarkt ein Überangebot. Dies erhöht die (Jugend-)Arbeitslosigkeit.
  • Auch die Ausbildungsqualität leidet unter einer solchen Umlage, da wo möglich nicht mehr in allen Fällen die Gewinnung von qualifizierten Nachwuchskräften im Vordergrund steht, sondern eine Kosten-Nutzen-Rechnung ins Spiel kommen könnte. Insbesondere für Kleinstbetriebe entstehen durch eine Umlage falsche Anreize zur Ausbildungsbeteiligung, denn sie haben seltener Bedarf an Fachkräften und bilden dementsprechend weniger aus. Sie müssten daher überproportional häufig Umlagebeiträge einzahlen.
  • Auch das quantitativ wichtigste Ausbildungshemmnis wird durch eine Umlagefinanzierung nicht behoben: Fast 40 % der interessierten Betriebe bilden nicht aus, weil sie für ihre angebotenen Plätze keine Auszubildenden finden. Dies ist gerade bei kleinen und mittleren Betrieben, die bei den Jugendlichen häufig weniger bekannt sind als Großunternehmen, oft der Fall. Statt Unterstützung bei der Rekrutierung zu erhalten, werden sie durch eine Umlage zusätzlich benachteiligt.
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