10/26/2022

Mit den „Bildungstrends“ überprüft das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) für die Kultusministerkonferenz, inwieweit Schülerinnen und Schüler die Bildungsstandards der KMK errei­chen. 2021 wurden Kompetenzen in Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe zum dritten Mal erfasst (nach 2011, 2016). Diese Kinder waren von den Schulschließungen im Frühjahr 2020 betroffen und besuchten zum Zeitpunkt der Datenerhebung 2021 erst seit wenigen Wochen wieder regelmäßig die Schule.

  • In Deutsch erreichen 2021 im Bereich Lesen knapp 58 %, im Bereich Zuhören etwa 59 % und im Bereich Orthografie gut 44 % in der vierten Klasse den Regelstandard
  • Fast 19 %, gut 18 % und rund 30 % verfehlen in diesen Bereichen den Mindeststandard
  • In Mathematik erreichen den Regelstandard knapp 55 %, rund 22 % verfehlen den Mindeststandard
  • In Bayern gelingt es durchgängig besonders gut, die Regel- und Mindeststandards in Deutsch und Mathematik zu sichern
  • Für die Mindeststandards und überwiegend auch die Regelstandards erreicht auch Sachsen günstigere Daten als im Bundesdurchschnitt
  • In Bremen und Berlin werden die Regelstandards sel­tener erreicht und die Mindeststandards häufiger verfehlt
  • In Brandenburg und Nordrhein-Westfalen fallen die Regelstandards in allen und die Mindeststandards in einigen Kompetenzbereichen deutlich ungünstiger aus

Deutlicher und langfristiger Kompetenzrückgang

  • Im Trend ist der Anteil der Viertklässler/innen, die 2021 den Regelstandard erreichen, durchgängig deutlich geringer als 2016 (Lesen: -8 %, Zuhören und Orthografie: -10 %, Mathematik: -7 %) und hat der Anteil, der den Mindeststandard verfehlt, signifikant zugenommen (Lesen: +6 %, Zuhören und Orthografie: +8 %, Mathematik: +6 %).
  • Dies gilt auch für die meisten Bundesländer; nur in Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz blieben die Ergebnisse weitgehend unverändert, auf un­terschiedlichem Niveau.
  • Auch die Veränderungen zwischen 2011 und 2021 fallen ungünstig aus. Während im Lesen die Verschlechterung hauptsächlich auf den Zeitraum seit 2016 zurückzuführen ist, gilt dies für Zuhören und Mathematik auch schon zwischen 2011 und 2016.

Im Lesen liegt 2021 der Mittelwert der erreichten Kompetenzen bei 471 Punkten, im Zuhören bei 456 und in der Orthografie bei 473 Punkten, in Mathematik im Mittel 462 Punkte. Durchgängig positive Abweichungen vom Durchschnitt bestehen in Bayern, auch in Sachsen. Klar unter dem Bundesdurchschnitt liegen Berlin, Brandenburg und Bremen. Der Kompetenzunterschied zwischen höchstem und nied­rigstem Mittelwert bzw. Land entspricht einem Schuljahr Lernzeit beim Lesen, in Mathematik etwas mehr als drei Vierteln eines Schuljahrs. Gemessen am Lernzuwachs eines Schuljahres entspricht der Kom­petenzrückgang bundesweit im Lesen etwa einem Drittel Schuljahr (-22 Punkte), im Zuhören ei­nem halben (-28 Punkte), in Orthografie einem Viertel (-27 Punkte) und in Mathematik mehr als einem Viertel Schuljahr (-21 Punkte).

Auch innerhalb der Länder sind zwischen 2016 und 2021 nahezu durchgängig negative Trends zu verzeichnen, am stärksten in Brandenburg, weniger in Hamburg und Rheinland-Pfalz. Für die Kompetenzmittelwerte zeichnete sich bereits zwischen 2011 und 2016 eine ungünstige Entwicklung ab, diese ist zwischen 2016 und 2021 aber nochmals verstärkt.

Unterschiede durch Geschlecht, Status und Zuwanderung

Mädchen erreichen in Deutsch im Mittel höhere Kompetenzwerte als Jungen, wobei der Vorsprung in der Orthografie am größten ist, während Jungen in Mathematik höhere Kompetenzwer­te erzielen. Dies gilt auch auf Länderebene. Die geschlechtsbezogenen Disparitäten in Deutsch haben sich seit 2011 und 2016 nicht verändert. In Mathematik haben sie um 7 Punkte (2016) bzw. 9 Punkte (2011) zugenommen, auf Länderebene gilt dies nur für Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Bayern.

Die mit dem sozioökonomischen Status verbundenen Disparitäten sind 2021 stärker aus­geprägt als in allen früheren Erhebungen, nochmals verstärkt seit 2016. Kompetenzrückgänge bei Viertklässler/innen aus sozial schwächeren Familien sind stärker ausgeprägt als aus sozial besser situierten Familien. Alle Kinder sind un­abhängig von ihrem sozialen Hintergrund gleichermaßen von Kompetenzeinbußen betroffen, aber bei Kindern aus sozial schwächeren Familien sind die Rückgänge signifikant.

2021 haben in der 4. Klasse 38 % Zu­wanderungshintergrund; mit über 45 % ist ihr Anteil in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen und Nordrhein- Westfalen am höchsten, in Brandenburg, Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen mit unter 15 % am niedrigsten. Bundesweit hat sich der Anteil seit 2016 um 5% und seit 2011 um 14% Prozent erhöht. Die Steigerung gilt insbesondere für den Anteil der Kinder der ersten Generation, die selbst zugewandert sind; dieser ist seit 2016 um 7 % auf 11% gestiegen, davon sind 40 % fluchtbedingt in Deutschland. In Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind dies 4 bis 7 %, in den anderen Ländern zwischen 9 bis 19 %.

Diese Disparitäten lassen sich zum Teil auf andere Hintergrundmerkmale wie geringen sozioökonomischen Status sowie nicht-deutsche Familiensprache zurückführen: Kinder aus zuge­wanderten Familien erreichen deutlich geringere Kompetenzen, wenn sie in ihren Familien nur manchmal oder nie Deutsch sprechen. Der Anteil al­ler Viertklässler/innen, die daheim immer Deutsch sprechen, liegt 2021 nur noch bei knapp 62 % und sank seit 2016 um 11 % und seit 2011 um 22 %.

Schulschließungen

Die erreichten Kompetenzen hängen teilweise mit den Lernbedingungen während des Lockdown zusam­men: Standen zuhause räumliche und technische Ressourcen zur Verfügung, wurden höhere Kompetenzen im Mittel erreicht als ohne diese Ausstattung. Zudem gehen ein höherer Anteil an Präsenzunterricht, Unterstützung durch die Eltern sowie funktionieren­der Fernunterricht mit höheren Kompetenzwerten einher.

Bewertung:

Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends sind höchst besorgniserregend und müssen Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit alarmieren. Die negativen Trends sind deutlich und schwerwiegend. Es darf nicht sein, dass 18 % bis 30% die Mindeststandards verfehlen, die eigentlich von allen erreicht werden sollten. Zum Teil werden sich hier die Schulschließungen niederschlagen, wenn zumal seit 2016 in allen Kompetenzbereichen und fast allen Ländern negative Trends zu ver­zeichnen sind. Aber die Entwicklungen zeigen einen negativen Trend seit 2011, so dass der Rückgang seit 2016 als Fortsetzung einer längerfristigen Entwicklung – unabhängig von der Pandemie – erscheinen muss.

Gravierend sind die Ergebnisse für Kinder mit ungünstigem sozialem bzw. Zuwanderungshintergrund; vor allem für sie gelten die Kompetenzrückgänge. Der IQB-Bildungstrend stellt allerdings heraus, dass auch bei Kindern ohne Zuwan­derungshintergrund und aus sozial besser gestellten Familien Kompetenzeinbußen zu verzeichnen sind; zudem lassen sich weder die Länderunterschiede noch die negativen Trends vollständig auf die Zusammensetzung der Schülerschaft zurückführen. Das Kompetenzniveau in der vierten Klasse ist gesunken, bei zunehmenden Disparitäten. Die Verbesserung der Bildungsqualität, zumal in den ersten entscheidenden Grundschuljahren, muss daher bildungspolitische Priorität haben. Qualität ist der beste Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit. Die Relevanz der gesprochenen Familiensprache weist darauf hin, dass Sprachförderung die Familie einbeziehen muss. Dafür ist ein Gesamtkonzept erforderlich, dass Kinder und ihre Familien ab dem Eintritt in das Bildungssystem mit der Kindertageseinrichtung systematisch und nachhaltig fördert.

https://www.iqb.hu-berlin.de/institut/bt/BT2021/Bericht/

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