06/29/2022

Zusammenfassung

„Bildung in Deutschland“ bietet alle 2 Jahre eine Bestandsaufnahme des gesamten deutschen Bildungssystems auf Basis von Daten der amtlichen Statistiken und sozialwissenschaftlichen Erhebungen. Der Bericht wird von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Schwerpunktthemen sind 2022 der drohende Personalmangel vor allem in der frühen und schulischen Bildung sowie erste Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Lernleistungen, zu denen aber bislang nur wenige valide Erhebungen vorliegen. Als zentrale Herausforderungen nennt der Bildungsbericht neben der intensivierten Personalgewinnung und -qualifizierung eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen – Bund, Länder, Kommunen - mit größerer Verbindlichkeit sowie das Vorantreiben der Digitalisierung, um Qualität und Krisenfestigkeit des Bildungssystems zu verbessern.

Im Einzelnen

„Bildung in Deutschland“ stellt Stand und Entwicklungsperspektiven in den verschiedenen Bereichen des deutschen Bildungssystems zusammen und zeigt Handlungsbedarfe auf. Mit dieser Aufbereitung verfügbarer Daten bietet auch der 9. Bildungsbericht bereichsübergreifend die zentrale empirische Grundlage für die bildungspolitische Debatte.

Basiszahlen (2020):

  • 2020 besuchten 17,5 Mio. Menschen formale Bildungseinrichtungen, d.h. Kitas, allgemeinbildende oder berufliche Schulen sowie Hochschulen. Gegenüber 2010 ist das ein Anstieg um 600.000 Menschen oder rund 4 %.
  • 26 % der Bevölkerung verfügten über einen höheren beruflichen oder akademischen Abschluss (+ 5 Prozentpunkte zu 2010). Dennoch zeigen sich große Unterschiede, zumal bei Personen ab 25 Jahren mit Migrationshintergrund.
  • 2,6 Mio. Menschen (+ 20 % gegenüber 2010) arbeiten in der Kindertagesbetreuung, (759.500), allgemeinbildenden/beruflichen Schulen (1.109.500) sowie an Hochschulen (710.000), dies entspricht 6 % aller Erwerbstätigen.
  • Das Bildungsbudget insgesamt betrug rd. 241 Mrd. Euro = 7,2 % des BIP. Dabei entfiel mit rd. 110 Mrd. ein Großteil auf den schulischen und schulnahen Bereich, rd. 44 Mrd. Euro auf den Tertiär- und rd. 37 Mrd. Euro auf den Elementarbereich. Rd. 50 Mrd. Euro verteilten sich auf eine Vielzahl von Bereichen wie Volkshochschulen, betriebliche Weiterbildung oder Förderung von Bildungsteilnehmenden. Rd. 81% der Gesamtausgaben werden öffentlich (Bund, Länder, Gemeinden) finanziert.
  • Mit 27 % hat mehr als jede 4. Person in Deutschland einen Migrationshintergrund; vor 10 Jahren war es jede 5. Person. Ein gutes Drittel wurde hier geboren; davon haben rd. 75% die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Anteil steigt in den jüngeren Altersgruppen, denn er beträgt bei über 45-Jährigen 18 %, bei jungen Erwachsenen 34 % und bei unter 6-Jährigen gut 40 %. 48 % der Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund wachsen in mindestens einer Risikolage auf (Armut, Erwerbslosigkeit, Bildungsarmut), bei Kindern ohne Migrationshintergrund sind es mit 16 % deutlich weniger.

Frühe Bildung stark ausgebaut (2021):

  • Rund 92 % der 3- bis unter 6-Jährigen besuchten 2021 eine Kindertagesbetreuung. Bei Kindern U3 ist in den letzten 10 Jahren der Anteil um fast 10 Prozentpunkte auf 34% gestiegen (= 810.000 Kinder, plus 300.000).
  • Bei unter 3-Jährigen zeigen sich jedoch Unterschiede im Besuch je nach Bildungsabschluss der Eltern: U3-Kinder von Eltern mit (Fach-)Hochschulabschluss oder Meister/ /Technikerin nahmen mit dem höchsten Anteil von 38 % teil, bei Eltern mit mittlerem, Hauptschul- oder ohne Abschluss dagegen nur zu 18 %; von Eltern mit (Fach- )Hochschulreife oder Berufsausbildung zu 29 %. Ähnliche Unterschiede je nach Bildungsabschluss der Eltern zeigen sich auch bei Kindern zwischen 3 und 6 Jahren.
  • Jedes 5. Kita-Kind von 3 Jahren bis zum Schuleintritt spricht zu Hause überwiegend nicht Deutsch. 73 % der Kita-Kinder besuchten eine Tageseinrichtung, in der der Anteil von Kindern mit nichtdeutscher Familiensprache bei über einem Viertel lag.
  • Bis 2025 werden in Westdeutschland bis zu 73.000 Fachkräfte fehlen (Gesamtbedarf von über 600.000 Fachkräften).
  • Der Personalschlüssel bei U3 lag 2020 bei 1:3,8 (2019: 1:3,9), bei 3–6-Jährigen bei 1:8,1 (1:8,2). Dabei ist die Betreuungsrelation in Westdeutschland mit 1:7,6 deutlich besser als in Ostdeutschland mit 1:10,2.

Schulische Bildung ohne spürbare Verbesserung:

  • Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg bleibt weiterhin stark: Mit 31 % machen Kinder aus sozial schwachen Familien wesentlich seltener das Abitur als Sprösslinge aus besser gestellten Elternhäusern mit 79 %.
  • In Deutsch und Mathematik besteht der Leistungsvorsprung in der 4. Klasse bei sozioökonomisch stärkeren Elternhäusern bei ca. einem Schuljahr (2019).
  • Sozial schwächer gestellte Jugendliche in Klasse 8 haben für ihre Zukunft geringere Erwartungen, die zudem von ihren eigentlichen Berufswünschen stärker abweichen als Jugendliche mit hohem Sozialstatus.
  • Bei Ganztagsangeboten lag 2021 lag die Inanspruchnahme mit 54 % noch deutlich unter dem Ganztagsbedarf der Eltern von 63 %.
  • Erste Befunde nach der Pandemie weisen auf einen Rückgang der Leseleistungen der 4. Klasse hin; dies ist aber bislang nicht eindeutig auf die Pandemiesituation zurückzuführen. Nach eigenen Angaben standen im Frühjahr 2020 nur 38 % der Lehrkräfte mit allen / fast allen ihrer Schülerinnen und Schüler regelmäßig im Kontakt.
  • 2020 verließen mit 45.000 bzw. 5,9 % der gleichaltrigen Bevölkerung weniger Jugendliche als in den Vorjahren die Schule ohne Abschluss. Es ist nicht klar, ob dies mit einfacheren Prüfungsverfahren oder längerem Verbleiben im Schulwesen zusammenhängt. Es gelingt später – in beruflichen Schulen - meistens, den Abschluss nachzuholen, sodass sich der Anteil bis zum 20. Lebensjahr auf 1,5% reduziert.
  • Ca. ein Drittel der Schulabgänger/innen beginnt unmittelbar nach dem Schulbesuch eine duale / schulische Ausbildung oder ein Studium; etwa die Hälfte aller Schüler/innen geht diesen Schritt erst mit zeitlicher Verzögerung.
  • 67% der Schülerinnen und Schüler, die kein Gymnasium oder keine Förderschule besuchen, streben nach Jg. 9 einen höheren schulischen Bildungsabschluss an. Mit erstem oder mittlerem Abschluss folgt am häufigsten eine duale oder schulische Ausbildung; bei (Fach-)Hochschulreife wird ein Studium einer Berufsausbildung mit deutlichem Abstand vorgezogen.
  • Mathematikkompetenzen am Ende des Jg. 9 haben signifikanten Einfluss auf den Erwerbseintritt in einen MINT-Bereich: Je höher die Mathematikkompetenz, desto größer ist die Chance auf Erwerbstätigkeit im MINT-Bereich.

Berufliche Bildung – Matchingprobleme:

  • 2021 gab es 228.140 Neuzugänge im Übergangssektor, 221.879 im Schulberufssystem und 437.761 im Dualen System; dies bedeutet gegenüber 2015 einen Rückgang im Übergangssektor (266.190), Anstieg im Schulberufssystem (208.824) und Rückgang im Dualen System (479.545).
  • Beim Matching von Angebot und Nachfrage ist die bedeutsamste Problemlage mit 41%, dass Ausbildungsvoraussetzungen der Bewerberinnen und Bewerber und Anforderungen der Betriebe nicht zusammenpassen.
  • Eine vorzeitige Lösung des Ausbildungsvertrags bedeutet mehrheitlich keinen Ausbildungsabbruch, sondern führt in 64% der Fälle zu einer beruflichen Neuorientierung: 17% beginnen unmittelbar eine andere berufliche Ausbildung; 30% fangen mit Verzögerung eine andere berufliche Ausbildung an, beginnen ein Studium (4%) oder gehen wieder zur Schule (13%).
  • Ausbildungen im Schulberufssystem qualifizieren inzwischen vor allem Personen in Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen (85 %). Die größte Zunahme seit 2012 verzeichnen Erziehungsberufe (+16 %) und Berufe des Gesundheitswesens (+14 %).
  • Die Übernahmequote nach einer dualen Ausbildung in Beschäftigung ist zwischen 2019 und 2020 leicht gesunken (- 5%), jedoch weiterhin auf dem hohen Niveau von 72%. Der Rückgang ist ausschließlich bei KMU zu beobachten; bei Betrieben ab 500 Beschäftigten war die Übernahme mit 88% unverändert.

Hochschulische Bildung – Studiennachfrage stabilisiert:

  • Deutschland bietet rd. 21.000 Studiengänge (rd. 9.500 Bachelorstudiengänge, rd. 10.000 Masterstudiengänge und rd. 1.700 Staatsexamensangebote) an 420 Hochschulen mit insgesamt 650 Studienstandorten. Rd. 60 % der Studiengänge haben keine Zulassungsbeschränkung.
  • Die Akademisierung ist zum Stillstand gekommen. Die inländische Studiennachfrage hat sich auf hohem Niveau stabilisiert (47 % der Alterskohorte; 1970er Jahre 20 %, 1980er Jahre 25 %, 2000er 31 %). 4% der Studienanfänger/innen verfügen über keine schulisch erworbene Studienberechtigung.
  • Während sich der Bachelor-Abschluss an Fachhochschulen als Regelabschluss zum Eintritt in den Arbeitsmarkt etabliert hat, ist dies an Universitäten bislang nicht der Fall, wenn die meisten Bachelor-Absolvent/innen ein Masterstudium anschließen.
  • Bei der Ausbildung der akademischen Fachkräfte ziehen Fachhochschulen fast mit Universitäten gleich: Fachhochschulen sind verantwortlich für 47% der Studienanfänger/innen und 49% der Absolventinnen und Absolventen.
  • Inzwischen beginnen 13,9% der Studienanfänger/innen an einer privaten Hochschule; dies entspricht 28 % des Fachhochschulsegments.
  • Lediglich 32,8 % der Studierenden schließen ihr Studium in der Regelstudienzeit ab; 23,7 % benötigen darüber hinaus zwei weitere Semester.
  • Nach wie vor studieren Menschen aus nichtakademischer Familie seltener. 15% der sozial ungleichen Studierneigung lassen sich dabei auf die wahrgenommenen finanziellen Kosten eines Studiums zurückführen.

Weiterbildung und Lernen im Erwachsenenalter - trotz weniger Angeboten hohe Weiterbildungsbeteiligung:

  • Mehr als jede 2. Weiterbildungsaktivität (52 %) erfolgte 2020 im betrieblichen Kontext
  • (Fern-)Universitäten und Hochschulen haben mit 52 % einen sehr hohen Anteil an den Weiterbildungsaktivitäten, die auf staatliche Anbieter entfallen, gefolgt von den Volkshochschulen mit 35 %.
  • 24 % der berichteten Aktivitäten 2020 wurden überwiegend oder vollständig online durchgeführt.
  • Die betriebliche Weiterbildungsaktivität ist in der Pandemie auf den niedrigsten Wert seit Beginn der 2000er-Jahre gesunken; der Bildungsbericht verzeichnet im ersten Halbjahr 2020 34 % aller Betriebe als weiterbildungsaktiv gegenüber 55 % im Vorjahr. Zugrunde liegt das IAB-Betriebspanel, das die Weiterbildungsaktivität eines Betriebs mit vergleichsweise engen Kriterien an der Freistellung der Beschäftigten für Maßnahmen und an der (Mit-)Finanzierung misst (siehe unten, S.6)
  • Die Pandemie wirkt sich auf die Teilnahme an Integrations- und Berufssprachkursen aus; seit 2018 sind weniger gering Literarisierte in Alphabetisierungskursen, mehr freiwillige und mehr weibliche Integrationskursteilnehmende, zunehmend mehr A2- und B1- Berufssprachkursteilnehmende festzustellen.
  • Allgemein positive Bewertungen besuchter Weiterbildungsangebote sind zu verzeichnen, Zufriedenheit und Anwendbarkeit des Wissens sind bei hybriden Lernformaten am höchsten; Motivation und persönliche Passung wirken sich positiv auf die wahrgenommene Qualität und Lernerfolg aus.
  • Die Ausgaben für berufliche Weiterbildungsförderung sind seit Verabschiedung des Qualifizierungschancengesetzes deutlich gestiegen.
  • Während 41 % der Geförderten nach SGB II 6 Monate nach Beendigung der Maßnahme sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, fällt die Quote der Geförderten nach SGB III mit 68 % deutlich höher aus. Vor allem Langzeitarbeitslose haben es schwerer, (stabil) in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Schwerpunktthema: Mangel an Bildungspersonal

  • Besonders groß ist der Bedarf an zusätzlichem Personal in der frühen Bildung, wo bis 2025 in Westdeutschland bis zu 72.500 Fachkräfte fehlen könnten.
  • Für die Schulen wird ein Bedarf von rd. 30.000 fehlenden Lehrkräften bis 2030 berechnet.
  • Durch den neuen Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule wird darüber hinaus mit einem Zusatzbedarf von bis zu 65.600 Fachkräften gerechnet.

Auswirkungen der Pandemie noch nicht belegbar

  • Einzelne Erhebungen an Schulen in den Bundesländern und an Grundschulen bundesweit weisen darauf hin, dass der Kompetenzstand von Schülerinnen und Schülern 2021 spürbar niedriger ausfiel als in Vorjahren. Allerdings ist noch nicht nachweisbar, ob die Leistungsrückgänge so auch in anderen Ländern bzw. in anderen Altersgruppen bestehen.
  • Auch die Schließung der frühkindlichen Einrichtungen wird voraussichtlich Auswirkungen zeitigen, insofern jedes 5. Kita-Kind zwischen 3 und 6 Jahren die deutsche Sprache vor allem in der Kita lernt.
  • An den Hochschulen gelang die Umstellung auf digital gestützte Lehre reibungsloser als in anderen Bildungsbereichen; ob die Pandemie zu erhöhten Abbrüchen geführt hat, ist statistisch aktuell noch unklar.
  • Bei Befragung von Studierenden an 23 Hochschulen gaben fast 40 % an, dass sich ihre Erwerbssituation kurz nach Ausbruch der Pandemie verschlechtert hat.
  • Die Zahl der internationalen Studienanfänger/innen ging durch Corona deutlich zurück, wenngleich die Gesamtzahl der internationalen Studierenden auch in der Pandemie weiter anstieg, auf inzwischen rd. 325.000 - dies ist für die Fachkräftesicherung positiv.

Bewertung:

Frühe und schulische Bildung – Sprachförderung systematisch umsetzen

  • Der Ausbau der Einrichtungen in der frühen Bildung ist enorm; seit 2010 ist der Personalbestand um 75 % gewachsen. Auf Grund des Geburtenanstiegs wie des gewachsenen Betreuungsbedarfs der Eltern ist allerdings auch die Nachfrage derart gestiegen, dass die Beteiligungsquote nicht erkennbar steigt. Der Eindruck, das Arbeitsfeld sei für Erzieher/innen nicht attraktiv, ist daher aber nicht richtig. Dennoch wird die Personalgewinnung in diesem Bereich durch die Dynamik der Entwicklung im nächsten Jahrzehnt eine große Herausforderung darstellen, verschärft durch den parallelen Ausbau der Ganztagsgrundschule.
  • Im Schulbereich muss das Thema Unterricht dringend systematisch angegangen werden. Der Anteil insbesondere von Kindern mit sozial schwachem Elternhaus und Migrationshintergrund wächst, zugleich hat sich der enge Konnex von Herkunft und Bildungserfolg nicht wirklich gelockert. Der Ansatz einer gezielten Sprachförderung schon mit Eintritt ins frühe Bildungssystem scheint (noch) nicht zu greifen und muss nachhaltig umgesetzt werden. Der Ausbau des Ganztags an Grundschulen sollte unbedingt auch für die weitere gezielte Förderung dieser Zielgruppe genutzt werden.

Berufliche Bildung – verzerrtes Bild

  • Der Bericht zeichnet ein einseitig negatives Bild, das die guten Arbeitsmarktchancen der Absolventen dualer Ausbildung, die Ausbildungsleistung und das Ausbildungsplatzangebot der Unternehmen nicht richtig in den Blick nimmt. So ist von einer „deutlichen Reduktion der betrieblichen Ausbildungsplätze“ als Grund für den „Tiefpunkt“ der beruflichen Ausbildung 2021 die Rede, ohne darauf hinzuweisen, dass rund 40% der Betriebe ihre Ausbildungsplätze mangels Bewerber/innen nicht besetzen können.
  • Zwar ist das Angebot an Ausbildungsplätzen aufgrund der Pandemie zurückgegangen, aber in weit geringerem Maß als die Anzahl der Bewerbungen. Dass Unternehmen nur vorübergehend ihr Angebot an Ausbildungsplätzen eingeschränkt haben, wird in den Zahlen für 2021 nicht deutlich. Aktuell sind mit +4 % schon wieder deutlich mehr Ausbildungsplätze der Betriebe bei der BA gemeldet als zu Beginn der Pandemie (Stand: Mai 2022 vs. Mai 2020). Da die Zahl der Bewerber/innen und Bewerber 2021 deutlich stärker gesunken ist als die der gemeldeten Stellen, hat sich die Chance auf einen Ausbildungsplatz für junge Menschen 2021 im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls verbessert; auch dies wird nicht hinreichend dargestellt.
  • Eine gesunkene Übernahmequote erschwere den Arbeitsmarkteinstieg für duale Ausbildungsabsolvent/innen – dass die Übernahmequote von 2019 auf 2020 leicht gesunken ist, ist angesichts finanzieller Engpässe und unsicherer Geschäftserwartungen durch die Pandemie nachvollziehbar. Die Übernahmequote von 72 % liegt jedoch im Rahmen üblicher Schwankungen (vgl. z.B. Übernahmequote 2018: 71 %), ist noch immer auf sehr hohem Niveau und z.B. im Vergleich zur Situation vor 10 Jahren deutlich höher (2012: 66 %). Zudem werden Übergänge in Beschäftigung in einen anderen Betrieb bei dieser Berechnung nicht erfasst.
  • Es gebe „anhaltende Ausgrenzungstendenzen gegenüber bestimmten sozialen Gruppen“ in der dualen Ausbildung, Jugendliche mit erstem (Haupt-)Schulabschluss mündeten mit 56% seltener in eine vollqualifizierende Ausbildung ein als solche mit Mittlerem Schulabschluss (87 %) oder (Fach)Hochschulreife (97 %). Dass ein Übergang in berufliche Bildung mit höheren Schulabschlüssen besser gelingt, überrascht nicht. Dies als „Ausgrenzung“ zu bezeichnen, geht jedoch zu weit: Ausbildungsplätze stehen auch Jugendlichen mit niedrigen Schulabschlüssen offen. Die Zahl der bei der BA gemeldeten Stellen, bei denen Betriebe mindestens den Hauptschulabschluss erwarten, macht sogar den größten Anteil der gemeldeten Berufsausbildungsstellen aus (2021: 51,2 %).
  • Zurecht fordert der Bildungsbericht die Berufswahlkompetenz von Schülerinnen und Schülern sowie die Ausbildungsvoraussetzungen zu stärken. Auch beklagt er Attraktivitätseinbußen der dualen Ausbildung - um diese zu beheben, sollten aber gerade die sehr guten Chancen angemessen dargestellt werden.

Hochschulische Bildung – Fachhochschulen nachgefragt

  • Die Aussagen zum Akademisierungsprozess sind positiv: Die Studiennachfrage hat sich auf hohem Niveau stabilisiert. 85 % der Hochschulabsolvent/innen gehen danach einer ihrem Bildungsniveau adäquaten Tätigkeit nach, zumeist auf Expert/innen-Niveau. Dies gilt dezidiert auch für Absolvent/innen mit Bachelorabschluss. Eine strukturell bedingte „Überakademisierung“ gibt es hinsichtlich des Anspruchsniveaus der ausgeübten Tätigkeiten also nach wie vor nicht.
  • Immer mehr Studienanfänger/innen entscheiden sich für ein Studium an einer Fachhochschule: Dass 47 % aller Studienanfänger/innen hier studieren, liegt an Studienangeboten in nichtärztlichen Gesundheitsberufen, die stark gewachsen sind, aber auch an der größeren Flexibilität der Angebote für Studierende mit beruflicher Qualifikation oder Berufstätige. Der Bericht stellt hier auch den Beitrag der privaten Hochschulen heraus, wo inzwischen 14 % ihr Studium aufnehmen. Private Hochschulen orientieren sich stärker an den konkreten Bedarfen von Unternehmen und bieten gezielt Angebote für bereits qualifizierte, berufstätige Studieninteressierte.
  • Mit Angeboten der wissenschaftlichen Weiterbildung reagieren private Hochschulen auf einen Bedarf, den der öffentliche Hochschulsektor auch aufgrund politischer Rahmenbedingungen (unterschiedliche Auslegungen des EU-Beihilferechts, Gebot der Vollfinanzierung, fehlende Anrechenbarkeit auf Lehrdeputate etc.) bisher nicht abdecken kann; die Politik ist gefordert die Rahmenbedingungen zügig zu verbessern.
  • Alternative Studienformate (dual, berufsbegleitend, e-learning-basiert) gewinnen an Bedeutung: Aktuell sind 8 % der Studiengänge dual studierbar (ausbildungsintegrierend oder praxisintegrierend), 10 % berufsbegleitend und 5 % im Fernstudium. Immer mehr Studieninteressierte wählen Formate, die mit einer Berufstätigkeit kombinierbar sind.
  • Ingenieurwissenschaften sind nach wie vor am stärksten nachgefragt (26 %), gefolgt von Wirtschaftswissenschaften (23 %), Psychologie, Sozial- und Erziehungswissenschaften (14 %), Natur- (11 %) und Geisteswissenschaften (10 %).
  • Die Studienwahl ist nach wie vor stark vom Geschlecht abhängig: Im Vergleich z.B. mit Indien oder afrikanischen Staaten, wo sich mehr Frauen für ein MINT-Studium entscheiden, wirken in Deutschland überholt geglaubte Geschlechterrollen nach.

Weiterbildung – hohe Teilnahmequote und Zufriedenheit der Teilnehmenden

  • Die Daten zeigen erneut, dass die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland generell sehr hoch ist, insbesondere im betrieblichen Kontext.
  • Während der Bildungsbericht die Weiterbildungsaktivität der Betriebe an Maßnahmen wie Freistellung und Finanzierung misst, also an Rahmenbedingungen für die Beschäftigten, erfasst die Weiterbildungserhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) alle Weiterbildungen in den Betrieben, einschließlich derer, die nicht in (externen) Kursen, sondern am Arbeitsplatz und innerhalb der Arbeitszeit stattfinden und kommt daher auf ein weit höheres und zutreffenderes Engagement der Betriebe von 87,9 % für 2019.
  • Die Bedeutung von Weiterbildung ist generell hoch, die Relevanz digitaler Angebote gestiegen. Dier Bericht prognostiziert einen weiteren Zuwachs an betrieblicher Weiterbildung, sobald sich die wirtschaftliche Situation der Betriebe stabilisiert.
  • Die Zufriedenheit der Teilnehmenden ist – entgegen häufig anderslautender Behauptungen – sehr hoch, insbesondere wenn ein unmittelbarer Anwendungsbezug besteht.
  • Die Autorinnen und Autoren des Berichts unterstützen zwar grundsätzlich die von der Regierung geplanten Reformvorhaben in der Weiterbildung, betonen aber auch, dass diese umfangreich evaluiert werden müssen. In der Tat wurden in der Vergangenheit immer wieder neue Förderinstrumente entwickelt, ohne vorhandene Programme zu evaluieren. Wenn s es Evaluierungen gab, blieben diese ohne Konsequenz wie z. B. bei der Bildungsprämie.
  • Ein Schwerpunkt des Berichts liegt auf den Integrations- und Sprachkursen. Hier wird wohl zu Recht ein steigender Bedarf erwartet, nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Situation (Zustrom von Menschen aus der Ukraine) und möglicher und notwendiger verstärkter Zuwanderung.
  • Generell wird die mangelnde Datenlage in der Weiterbildung kritisiert, die eine Analyse erschwert. Diese Einschätzung ist zutreffend, eine Verbesserung der Datenlage darf aber nicht mit einer stärkeren Regulierung des Systems einhergehen.

www.bildungsbericht.de

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